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Der lange Weg zurück (Das verlorene Leben)
Von Max Mehrick
Diese autobiographische Erzählung zeigt die ersten drei Jahrzehnte des Lebenswegs eines jungen Mannes auf. Sie vermittelt schonungslos, welche fatalen Folgen sexualisierte Gewalt in der Kindheit und Jugend haben kann. Und sie lässt erahnen, welche enorme Kraft von sexualisierter Gewalt Betroffene aufwenden müssen, um wieder Halt und zu sich selbst zu finden – wie dies schließlich auch dem Autor dieses Buches gelungen ist.
Ein Buch, das Fachleuten unbedingt zu empfehlen ist. Für Betroffene könnte das Buch eventuell zu belastend sein. Wir veröffentlichen daher an dieser Stelle die durch Herrn Mehring selbst dem Buch vorangestellte Triggerwarnung im Wortlaut:
“Ich weiß nicht, wie meine Erzählung auf Leser wirkt, und ich habe selbstverständlich auch so meine Bedenken, vor dem zu warnen, was ich selbst geschrieben habe. Mir persönlich haben Erfahrungsberichte und Berichte von Menschen, die Ähnliches erlebten wie ich, oft geholfen, und ich habe sie mir ganz bewusst und mit großem Interesse angehört und gelesen. Doch -und das gehört auch zur Wahrheit- diese Berichte haben mich oft auch schwer belastet, lange beschäftigt und meine Lebensqualität in dieser Zeit verschlechtert. Es kann sein, dass meine Erzählung bei manchen Menschen, die selbst Opfer von Gewalt und sexualisierter Gewalt wurden, bei Menschen, die also ein ähnliches Trauma in sich tragen wie ich, Gefühle auslösen und sie schmerzlich mit ihrem eigenen traumatischen Erlebnissen konfrontiert werden.”
Geleitwort
“Der lange Weg zurück” ist ein berührendes, ein trauriges, ein mutiges und ein wichtiges Buch. Max Mehrick führt die Leser in eine Welt schwerer seelischer und körperlicher Verletzungen. Er beschreibt Opfererfahrungen als Mann in Kontexten, die wir nur allzu gut kennen. Es geht um Kinderheime, Internate, Klosterschulen, Freizeit- und Ausbildungseinrichtungen für Kinder- und Jugendliche, oft getragen von gut beleumundeten Institutionen oder Personen. Uns allen klingen Namen noch im Ohr wie: Kloster Ettal, die Regensburger Domspatzen, die reformpädagogische Odenwaldschule, das Canisius-Kolleg – aber auch mediale Größen wie der englische BBC-Moderator Jimmy Savile.
Max Mehrick beschreibt unterschiedliche Täter, die vieles verbindet: Alle wären sie dem Kind schuldig gewesen, in Fürsorge für es einzutreten und ihm ein Geländer in die Welt zu geben. Sie waren ihm Liebe, Erklärung und Bildung schuldig, sie hätten ihm Trost und Zuversicht auf den Weg geben sollen. Sie sind dem Kind nicht nur so vieles schuldig geblieben, sie sind an ihm auf furchtbare Weise schuldig geworden. Sie alle eint eine umfangreiche Täuschung in ihrer Selbstdarstellung auf Kosten des Kindes und das Fehlen jeglicher Reue oder Einsicht. Bis heute.
Es ist ein Verdienst dieses Buches, dass hier nicht unter der Überschrift der nur allzu bekannten Institution der Blick vom Wesentlichen abgelenkt wird. Viel zu häufig richtet sich der Blick der Öffentlichkeit auf die Täter und die Institution – auf die Sensation. Sensation nützt sich schnell ab. Noch eine Institution, noch ein Täter, noch ein Missbrauch. Das begünstigt Mitgefühlsmüdigkeit. Dann geht verloren, wie schwer die Opfer am zugefügten Leid zu tragen haben und dass sie im wahrsten Wortsinne “lebenslänglich” haben. Sie haben es sich nicht ausgesucht.
Es gelingt Max Mehrick mit seiner intensiven und gleichwohl fast nüchternen Sprache, Verletzungen bis auf den Grund der Verzweiflung sensibel auszuleuchten. So wird fassbar, was das Unfassliche hinterlässt.
Ich habe bisher kein anderes Buch gelesen, in dem mich die Erfahrungen eines misshandelten und missbrauchten Jungen so erschüttert haben. Sie haben mich zu Tränen gerührt und unsagbar wütend gemacht. Ich habe viel an den Pädagogen Janusz Korczak denken müssen. An seine Bereitschaft, mit “seinen” Kindern ins Gas zu gehen, sie nicht alleine zu lassen und sie bis zum bitteren Ende in Liebe zu begleiten. Es wäre dem kleinen Max so zu wünschen gewesen, dass irgendwo auf seinem Weg ein solcher Wegbegleiter gestanden hätte.
Und so ist das am Ende auch ein Buch über Liebe und Bindung und über ihre Bedeutung für das Überleben und Leben. Emily Dickinson schreibt: Alles was ich über die Liebe weiß ist, dass sie das einzige ist, was zählt. Dem ist nichts hinzuzufügen.
Gaby Breitenbach
2018, 206 Seiten, 24,50 Euro, ISBN 978-3-89334-622-6
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